Inwiefern wirken sich Temperatur und Geschwindigkeit auf die Reichweite von E-Fahrzeugen aus?
Unsere interaktive Analyse zeigt, wie die maximale Reichweite von E-Fahrzeugen von klimatischen Bedingungen und dem Fahrverhalten beeinflusst wird.
Von Charlotte Argue
7. Februar 2023
•Lesedauer: 5 Minuten
E-Fahrzeugfahrer wissen ganz genau, dass die angegebene Reichweite bloß als Richtwert dient. Die tatsächliche Reichweite im täglichen Betrieb, d. h. wie weit man mit einer voll aufgeladenen Batterie fahren kann, kann stark variieren und je nachdem deutlich unter oder über diesem Richtwert liegen. Genauso wie bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor gibt es unterschiedliche Faktoren, die die Betriebseffizienz beeinflussen, z. B.: Straßenbedingungen, Wetter, Topografie, Geschwindigkeit, Reifendruck und Fahrverhalten.
Die maximale Reichweite eines Elektrofahrzeugs ist außerdem direkt mit der Batteriekapazität verbunden, sprich mit der Menge an Energie (kWh), die gespeichert werden kann. Diese Kapazität nimmt im Laufe der Zeit ab. Weitere Informationen zur Batteriedegradation können Sie unserer Studie zum Batteriezustand von Elektrofahrzeugen entnehmen. Die Daten zeigen eine Degradation der Speicherkapazität von durchschnittlich 2,3 % pro Jahr.
Heutzutage ist es nicht mehr so wichtig, die exakte Reichweite je nach Fahrt zu kennen, da die Batteriekapazität mit jeder neuen Generation von Elektrofahrzeugen verbessert wurde. Die meisten leichten E-Nutzfahrzeuge auf dem Markt verfügen über genügend Reichweite für den täglichen Betrieb, das gilt auch für die Fuhrparknutzung. Weitere Informationen finden Sie in unserer Eignungsbeurteilung für E-Fahrzeuge für Pkw-Flotten in Europa und Kleintransporter-Flotten in Nordamerika (auf Englisch).
Dennoch kann ein tiefgreifendes Verständnis der Ursachen für den Reichweitenverlust das Vertrauen von Fahrern und Fuhrparkmanagern in ihre E-Fahrzeuge stärken. Mithilfe dieser Anhaltspunkte kann das richtige Fahrzeug für die jeweilige Situation ausgewählt werden.
Der Einfluss der Temperatur auf die Reichweite
Die Temperatur, insbesondere kaltes Wetter, wird häufig mit dem Verlust an Reichweite in Verbindung gebracht. In unserer vorherigen Analyse haben wir darstellen können, inwiefern die Außentemperatur signifikante positive sowie negative Auswirkungen auf die Reichweite von Elektrofahrzeugen hat. Die tatsächliche Reichweite ist unter optimalen klimatischen Bedingungen um bis zu 15 % besser als die angegebene Reichweite. Extrem kaltes Wetter kann die Reichweite um bis zu 50 % reduzieren. Das liegt in erster Linie an der Energie, die aufgebracht werden muss, um eine angenehme Temperatur für den Fahrer und die Batterie zu halten. Glücklicherweise gibt es einige Maßnahmen, um diese Auswirkungen einzudämmen. Dazu gehören unter anderem das Vorheizen der Fahrerkabine oder die Nutzung der Sitzheizung anstelle der Wagenheizung.
Doch ist die Temperatur wirklich der wichtigste Faktor, wenn es um die Reichweite von Elektrofahrzeugen geht? Wir möchten uns im Rahmen dieses Blogposts mit dem relativen Einfluss der Temperatur und eines zweiten Schlüsselfaktors auseinandersetzen: der Geschwindigkeit.
Welche Rolle spielen Geschwindigkeit und Luftwiderstand?
Auch die Geschwindigkeit wirkt sich auf die Fahrzeugeffizienz und somit auf die Reichweite aus. Die Geschwindigkeit und insbesondere der Luftwiderstand sind sowohl für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor als auch für E-Autos entscheidende Faktoren.
Der Luftwiderstand ist im Wesentlichen die Kraft, die das Fahrzeug überwinden muss, um sich durch die Luft zu bewegen. Wie hoch der Luftwiderstand für ein Fahrzeug während der Fahrt ist, hängt hauptsächlich von der Aerodynamik des Fahrzeugs ab, die je nach Modell stark variiert. Der Luftwiderstand ändert sich darüber hinaus mit der Geschwindigkeit (er nimmt proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit zu; bei einer Verdoppelung der Geschwindigkeit steigt der Luftwiderstand um das Vierfache). Außerdem wird der Luftwiderstand von der Dichte und den Eigenschaften der Luft beeinflusst. Auch diese Faktoren schwanken je nach Windgeschwindigkeit, Höhenlage, Temperatur und Luftfeuchtigkeit (in der folgenden Analyse werden diese Faktoren als konstant vorausgesetzt).
Aggregierte Telematikdaten verdeutlichen den Zusammenhang von Geschwindigkeit und Reichweite
Anhand von anonymisierten, aggregierten Fahrdaten* bei verschiedenen Temperaturen und Geschwindigkeiten haben wir Effizienzmodelle für einen kleinen Pkw und einen leichten Kastenwagen erstellt. Das Ziel war es, zu bestimmen, inwiefern die Geschwindigkeit die Reichweite beeinflusst und wie die Geschwindigkeits-Effizienzkurve bei unterschiedlichen Temperaturen aussieht.
*Für die Modellierung des Pkw wurden 350.000 Fahrten von 500 Pkw mit insgesamt über 180.000 Fahrstunden analysiert. Für die Modellierung des leichten Kastenwagens wurden 2,8 Millionen Fahrten von 2000 Kastenwagen mit insgesamt über 370.000 Fahrstunden analysiert. Beide Modelle wurden dahingehend angepasst, dass sie eine Batterie mit 65 kWh darstellen. Die Simulation geht von einer konstanten Geschwindigkeit aus.
Das oben aufgeführte Diagramm zeigt, dass die optimale Temperatur zur Maximierung der Reichweite sowohl für den Pkw (durchgezogene orangefarbene Linie) als auch für den Kastenwagen (gepunktete orangefarbene Linie) 20° C beträgt. Die ideale Geschwindigkeit, bei der die Reichweite maximiert wird, hängt jedoch von der Temperatur ab. Bei 20° C wird die Reichweite des Pkw bei langsamen 30 km/h maximiert, bei 0° C wird die optimale Geschwindigkeit auf knapp 60 km/h verdoppelt.
Dies liegt daran, dass einerseits Energie zur Überwindung des Luftwiderstands erforderlich ist, und andererseits Energie benötigt wird, um die Fahrzeugkabine auf einer angenehmen Temperatur zu halten. Eine höhere Geschwindigkeit bedeutet, dass man schneller ans Ziel kommt, wodurch weniger Energie für Heizung, Lüftung und Klimaanlage verbraucht wird. Das wirkt sich positiv auf die Reichweite aus. Gleichzeitig bedeutet eine höhere Geschwindigkeit aber auch, dass mehr Energie aufgewendet werden muss, um den Luftwiderstand zu überwinden, was sich wiederum negativ auf die Reichweite auswirkt.
Schauen wir uns die Daten des Kastenwagens an. Der Luftwiderstand ist für Kastenwagen höher. Daher wird die optimale Effizienz bei niedrigeren Geschwindigkeiten erreicht. Bei einer Idealtemperatur von 20° C liegt die effizienteste Geschwindigkeit bei 25 km/h. Hier besteht also kein großer Unterschied zum Pkw und es ist genauso unpraktisch für den tatsächlichen Fahrtbetrieb. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ist die optimale Geschwindigkeit noch immer relativ niedrig und liegt bei 40 km/h.
Was hat einen größeren Einfluss – Temperatur oder Geschwindigkeit?
Man sieht, dass beide Kurven im Diagramm mit zunehmender Geschwindigkeit konvergieren. Sowohl für den Pkw (durchgezogene Linien) als auch für den Kastenwagen (gepunktete Linien) wird die relative Bedeutung der Temperatur mit zunehmender Geschwindigkeit deutlich geringer. Bei niedrigen Geschwindigkeiten wirkt sich eine Temperaturänderung von 10 Grad viel stärker auf die Reichweite aus als eine Temperaturänderung bei hohen Geschwindigkeiten. Im Falle des leichten Kastenwagens ist der Einfluss der Temperatur bei hohen Geschwindigkeiten fast unbedeutend. Denn der Luftwiderstand ist proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit, d. h. er ist umso größer, je schneller Sie fahren.
Den Einfluss bildlich darstellen
Geotab hat die Ergebnisse dieser Analyse genutzt, um eine interaktive Simulation zu erstellen, in der ein Pkw und ein leichter Kastenwagen, beide mit einer 65 kWh-Batterie, verglichen werden. Sie können die Temperatur und Geschwindigkeit verstellen, um sich die Auswirkungen auf die Reichweite mit eigenen Augen anzusehen.
*Ein voller Balken (100 %) ist die maximale theoretische Reichweite des Fahrzeugs, wenn die optimalen Bedingungen für Temperatur und Geschwindigkeit erfüllt sind. Es besteht ein Unterschied zur angegebenen Reichweite eines Fahrzeugs.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor
Es ist ein milder Tag, die Temperatur liegt bei 21°C und Sie haben zwei Optionen: Sie können mit 100 km/h über eine Kraftfahrtstraße oder mit 50 km/h durch die Stadt fahren. Wenn die Maximierung der Reichweite Ihre oberste Priorität ist, dann ist es immer ratsam, die langsamere Route zu wählen, egal ob Sie einen Pkw oder einen Kastenwagen fahren.
Versuchen Sie es selbst: stellen Sie die Temperatur auf 21° C. Jetzt können Sie die Geschwindigkeit von 50 km/h auf 100 km/h verstellen.
Nehmen wir einmal an, Sie möchten dieselbe Route im Winter fahren. Die Temperatur beträgt 0° C. Die Reichweite Ihres Fahrzeugs wäre bereits geringer als im Frühling, da Sie Energie für die Heizung und das Warmhalten der Fahrzeugbatterie aufwenden müssen. Ist es immer noch empfehlenswert, die langsamere Route zu fahren?
Versuchen Sie es selbst: stellen Sie die Temperatur auf 0° C. Jetzt können Sie die Geschwindigkeit von 100 km/h auf 50 km/h verstellen.
Bei dem Pkw lässt sich ein signifikanter Unterschied in der Reichweite auf Kraftfahrtstraßen und im Stadtverkehr feststellen. Der Energieaufwand steigt lediglich um 8 % auf der Kraftfahrtstraße, doch Sie kommen doppelt so schnell an Ihr Ziel. Für den Kastenwagen wird ein Reichweitenverlust von 22 % festgestellt, wenn man über die Kraftfahrtstraße fährt, anstatt durch die Stadt. Beim Kastenwagen spielt die Geschwindigkeit also weiterhin eine große Rolle.
Was hat also den größten Einfluss auf die Reichweite – die Temperatur oder die Geschwindigkeit?
Sie können wahrscheinlich schon erahnen, dass es keine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt.
Im Allgemeinen haben höhere Geschwindigkeiten einen größeren Einfluss. Es ist daher ratsam, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten, um die Reichweite optimal auszunutzen. Wenn Sie einen leichten Kastenwagen oder ein ähnlich großes Fahrzeug fahren, sollten Sie saisonbedingt keinen großen Unterschied in der Reichweite Ihres Fahrzeugs bemerken, vor allem, wenn Sie hauptsächlich auf Autobahnen oder Kraftfahrtstraßen unterwegs sind.
Fahren Sie ein kleineres, aerodynamischeres Fahrzeug, hat die Temperatur eine größere Auswirkung auf die Reichweite, insbesondere in der Stadt. Folglich wird die Anwendung von Strategien zur Verringerung dieser Auswirkungen immer wichtiger. Die Strategien werden hier erläutert.
Tatsächlich können heutige Elektrofahrzeuge die meisten Fuhrparkaufgaben mit einer Batterieladung erledigen, unabhängig von der Temperatur oder Geschwindigkeit. Bei längeren Strecken kann die Kenntnis der jahreszeitlich bedingten Temperaturen und der Fahrgeschwindigkeiten eine Orientierungshilfe bei der Fahrtplanung sein und Aufschluss darüber geben, ob ein Ladestopp Teil der Route sein sollte.
Benötigen Sie weitere Informationen zu Elektrofahrzeugen? Schauen Sie sich unser Knowledge Center zur Fuhrparkelektrifizierung (auf Englisch) an, um weitere Ressourcen und Fallbeispiele zu erhalten.
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Charlotte Argue ist seit 2019 bei Geotab tätig. Sie ist eine Vordenkerin auf dem Gebiet der Elektrofahrzeuge und arbeitet seit 2009 daran, die Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu beschleunigen.
Inhaltsübersicht
- Der Einfluss der Temperatur auf die Reichweite
- Welche Rolle spielen Geschwindigkeit und Luftwiderstand?
- Aggregierte Telematikdaten verdeutlichen den Zusammenhang von Geschwindigkeit und Reichweite
- Was hat einen größeren Einfluss – Temperatur oder Geschwindigkeit?
- Den Einfluss bildlich darstellen
- Stellen Sie sich folgendes Szenario vor
- Was hat also den größten Einfluss auf die Reichweite – die Temperatur oder die Geschwindigkeit?
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