Ein Vergleich des Risikolevels von leichten und schweren Nutzfahrzeugen für die Verkehrssicherheit
2026 wird die Europäische Kommission mit der Umsetzung des Mobilitätspakets 1 beginnen, das schwere (SNF) und leichte Nutzfahrzeuge (LNF) umfassen wird. Um zu erfahren, wie sich dies auf Unternehmen mit einer LGV-Flotte auswirken wird, hat Geotab eine Risikoanalyse zwischen SNF und LNF durchgeführt.
Von Paul Stobbe
8. Dezember 2022
•Lesedauer: 4 Minuten
In Europa sind circa 11 Millionen Menschen im gewerblichen Kraftverkehr tätig. Der Gütertransport allein macht ungefähr die Hälfte davon aus und wird vermutlich um bis zu 60 % bis 2050 wachsen. Der Passagierverkehr wird Schätzungen zufolge um 42 % steigen. Die Europäische Kommission hat die Mobilitätspakete 1, 2 und 3 auf den Weg gebracht, die darauf ausgelegt sind, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, soziale Gerechtigkeit und einen fairen Wettbewerb zu fördern, die Umweltleistung zu steigern und Innovationen voranzutreiben.
Einführung des europäischen Mobilitätspakets 1
Am 9. Juli 2020 verabschiedete das Europäische Parlament das Mobilitätspaket 1, das im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 leichte Nutzfahrzeuge (LNF) umfasst. Diese neue Verordnung betrifft gewerbliche Fahrzeuge, deren zulässiges Gesamtgewicht einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger über 2,5 Tonnen liegt und die ausschließlich für den internationalen Güterverkehr oder die Kabotage eingesetzt werden. Diese Verordnung tritt am 1. Juli 2026 in Kraft.
Während schwere Nutzfahrzeuge (SNF) strengen Auflagen in Bezug auf Lenk- und Ruhezeiten unterliegen, galten diese gesetzlichen Regelungen bis zur Einführung des Mobilitätspakets 1 nicht für leichte Nutzfahrzeuge (LNF). Diese Änderung betrifft viele Unternehmen, die nun Tachograph-Lösungen für ihre LNF-Flotten einführen müssen. Das wirft die Frage auf, ob Telematikdaten ein ähnlich hohes Risiko für schwere Nutzfahrzeuge (SNF) und leichte Nutzfahrzeuge (LNF) belegen und diese Gesetzesänderung damit untermauern.
Einem Bericht des Europäischen Parlaments zufolge zeigen LNF-Fahrer und SNF-Fahrer ähnliche Müdigkeitserscheinungen. Bei LNF-Fahrern kam es jedoch öfter vor, dass Müdigkeitserscheinungen auftraten, obwohl die gesetzlich vorgeschriebene Lenkzeit noch nicht überschritten wurde.
Geotab unterstützt jedes Engagement für die Verbesserung der Verkehrssicherheit. So ist Geotab kürzlich der Initiative „Data for Road Safety“ (Daten für die Verkehrssicherheit, auf Englisch) des SRTI Ecosystem beigetreten. Aggregierte Telematikdaten helfen dabei, Schlüsselindikatoren für die Verkehrssicherheit zu messen. So können Zusammenhänge und Veränderungen mit der Zeit besser verstanden werden.
Wie lässt sich das Risikolevel für SNF- und LNF-Fahrer bestimmen?
Um das Risikolevel für SNF- und LNF-Fahrer festzustellen, wurden die folgenden Fragen untersucht:
- Welche Umstände führen zu unsicheren Verkehrssituationen? Welche dieser Umstände können anhand von Geotabs Telematikdaten gemessen werden?
- Welche Fahrzeuggruppe weist auf Basis der in der ersten Frage definierten Faktoren ein höheres Risiko auf?
- Können sich neue Vorschriften für LNF positiv auf die Verkehrssicherheit auswirken? Dies basiert auf den Ergebnissen der vorangegangenen Fragen.
Mit Bezug auf Frage 1 wird Risiko im Straßenverkehr als das potenzielle Auftreten eines Schadens, einer Verletzung oder eines Verlustes definiert. Verschiedene Faktoren haben einen Einfluss auf das Risikolevel, darunter: Fahrer, Fahrzeug und Fahrzeugumgebung. Die folgende Analyse vergleicht das Risikolevel allein anhand der Fähigkeit der Fahrer. Ausgeruhte Fahrer können schnell auf Veränderungen reagieren und weisen daher ein niedrigeres Risikolevel auf als müde Fahrer, die eine langsamere Reaktionszeit aufweisen.
Zu den Faktoren, die mithilfe von Telematikdaten gemessen werden können, gehören:
- Lenkzeit anhand von GPS- und OBD-Signalen
- Ruhezeit anhand von GPS- und OBD-Signalen
- Gefährliche Situationen anhand von Beschleunigungsmesserdaten
- Geschwindigkeitsüberschreitungen anhand von GPS- und OBD-Signalen
- Kollisionen anhand von Beschleunigungsmesserdaten und OBD-Signalen
Die folgende Analyse konzentriert sich auf Lenkzeiten und gefährliche Situationen. Dafür werden zwei aggregierte Datensätze genutzt, die Informationen zu jeder Fahrt und der Anzahl gefährlicher Situationen enthalten. Der Pool der untersuchten SNF und LNF umfasste 22.000 Fahrzeuge, 9 Fahrzeugmarken und 45 Modelle. Im Zeitraum von einem Jahr wurden 8 Millionen Fahrten mit 27 Millionen gefährlichen Situationen aufgezeichnet.
Was ist sicherer: leichte oder schwere Nutzfahrzeuge?
Das unten stehende Diagramm zeigt die Verteilung der Lenkzeit in Minuten pro Fahrt an. SNF-Fahrzeuge sind in blau markiert und die LNF-Gruppe in rot.
Der Verteilung nach zu urteilen, weisen SNF in der Regel längere Fahrten als LNF auf. In diesem Diagramm werden jedoch nicht all jene Fahrten hervorgehoben, die nah an der 4,5-Stunden-Marke liegen. Den Tachograph-Regeln für Ruhezeiten zufolge muss nach einer Lenkzeit von 4,5 Stunden eine Pause von mindestens 45 Minuten eingelegt werden. Schaut man spezifisch auf die Verteilung von Fahrten über 3 Stunden, ergibt sich folgendes Bild:
Man sieht, dass die SNF weitaus mehr Fahrten aufweisen, die nah an der 4,5-Stunden-Marke liegen. Der plötzliche Abfall bei den SNF um die 280-Minuten-Marke herum belegt den Einfluss der Vorschriften. LNF weisen hingegen nicht das gleiche Muster auf. Längere Fahrten, die nah an der 4,5-Stunden-Marke liegen, treten häufiger bei SNF auf. Dies bedeutet ein erhöhtes Risiko für die SNF-Gruppe.
Das folgende Diagramm zeigt die Verteilung der Fahrtdauer für Fahrten, die nah an der 9- und 10-Stunden-Marke liegen, pro Tag und Fahrzeugtyp.
Auch hier zeigt sich, dass viele SNF das Maximum der 9 oder 10 Stunden Lenkzeit pro Tag ausreizen. Auch dies spricht für ein höheres Risiko bei SNF.
Weist dies auf ein generell höheres Risikolevel für SNF-Fahrer im Vergleich zu LNF-Fahrern hin? Andere Faktoren bekräftigen deutlich, dass Erschöpfung nicht nur mit der Lenkzeit zusammenhängt, sondern auch mit den Umständen. Beim Blick auf die gefährlichen Situationen je Fahrzeugtyp fallen deutliche Unterschiede auf.
Unser Fazit
Für den folgenden Datensatz zu gefährlichen Situationen wurde der Schwellenwert des Beschleunigungsmessers, der die Situation bestimmt, gemäß dem Fahrzeugtyp normalisiert. Die Normalisierungsparameter wurden mithilfe der GO-Geräte in verschiedenen Testszenarien empirisch verifiziert. Diese Schwellenwerte können auf der MyGeotab-Plattform unter dem Abschnitt Regeln eingesehen werden.
Das unten stehende Diagramm zeigt die durchschnittliche Anzahl gefährlicher Situationen pro gefahrener Stunde. Unter den Sammelbegriff gefährliche Situationen fallen: starkes Beschleunigen (SB), abruptes Bremsen (AB) und schnelle Kurvenfahrten (SK).
Bei LNF kommt das starke Beschleunigen fast zweimal so oft vor wie bei SNF. LNF weisen darüber hinaus ein um 54 % höheres Risiko für schnelle Kurvenfahrten auf. Zuletzt kommt das abrupte Bremsen bei LNF mit einer 33 % höheren Wahrscheinlichkeit vor.
Allgemein weisen LNF ein um 54 % höheres Risiko für gefährliche Situationen auf, alle Kategorien miteingeschlossen. Diese Zahlen weisen in eine ähnliche Richtung wie die Ergebnisse des Berichts des Europäischen Parlaments. LNF-Fahrer sind zwar weniger stark vom Risikofaktor Lenkzeit betroffen, doch kann Erschöpfung auch durch stressige Fahrtumstände hervorgerufen werden.
Als Antwort auf die letzte Frage ziehen wir den Schluss, dass die Kombination aus LNF-Fahrern mit höherem Risiko und unregulierten Lenkzeiten zu einem höheren Schadens-, Verletzungs- oder Verlustrisiko führt. Liegen zwei ähnliche 4,5 Stunden lange Fahrten von je einem SNF- und einem LNF-Fahrer vor, ist das Risiko des LNF-Fahrers um 54 % höher. Die Verordnung senkt das Risiko für jene Gruppe, die zurzeit dem höheren Risiko ausgesetzt ist. Allerdings bezieht die Verordnung nicht den Fall ein, dass LNF-Fahrer für gewerbliche Zwecke im Inland die 4,5-Stunden-Marke überschreiten dürfen und dadurch noch immer ein signifikant höheres Risiko aufweisen.
Mehr Verkehrssicherheit mit Hilfe von Geotabs Lösungen
Die vom Tachograph aufgezeichneten Lenkzeiten können das Risiko nur abwägen. Telematikdaten hingegen erfassen gefährliche Situationen und geben ein aussagekräftiges Bild des aktuellen Risikos. Unternehmen, die Fahrerkabinenkameras installieren und in Telematik investieren, um Müdigkeitserscheinungen frühzeitig zu erkennen, leisten einen Beitrag zur Verkehrssicherheit und schützen sowohl die Fahrer als auch ihre Mitmenschen.
Erfahren Sie mehr über die Lösungen von Geotab zur Verbesserung der Verkehrssicherheit, z.b. durch die Analyse des Fahrverhaltens über MyGeotab oder die Fahrersicherheitsberichte. Sprechen Sie mit Ihren Fahrern über das Thema Sicherheit und machen Sie die Straßen sicherer.
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Product Manager, Europe at GEOTAB
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